Page 6 - JOBWOCHE 9_2020

6 Ratgeber
Zwischen Wut und Tränen
Wie viele
Emotionen
sind im Job
erlaubt?
Wut, Trauer oder Freude sind
Gefühle, die unseren Alltag
begleiten. Im Privatleben gilt
das als selbstverständlich,
aber was ist im Beruf? Ist dort
kein Platz für Emotionen?
«Man muss abwägen», sagt
Laura Leske. Als ihre letzte Be-
ziehung in die Brüche ging,
kamen ihr im Büro beim Ge-
spräch mit der Chefin die Tränen.
Eine unangenehme Situation.
Doch im Nachhinein sei sie froh,
dass sie ihre Gefühle teilen konn-
te, erzählt die 34-Jährige, die als die mit Schwäche verbunden
Finanzmitarbeiterin in einem
Verband für kulturelle Bildung
arbeitet.
Auch sie habe ihre Chefin schon
mal getröstet, erzählt die Berli-
nerin. «Wir sind ein kleines Team
mit einer familiären Atmosphä-
re.» Wenn man so eng zusam-
menarbeite, sei es gut zu wissen,
wie es den Kolleginnen und
Kollegen geht.
Positive Gefühle sind
gerne gesehen
«Es kommt aber immer auf die
Art der Gefühle und die Art der
28. April - 11. Mai 2020
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Beteiligten an», sagt die Wiener Emotionen - eine spannungslö- anderen gilt es umzugehen - son-
Psychologin und Psychothera- sende Wirkung haben. dern auch mit dem eigenen.
peutin Helga Kernstock-Redl. Wichtig sei, abzuwägen, sagt
Grundsätzlich seien positive Ge- Empathie gehört in vielen Annette Auch-Schwelk, Coach
fühle, die mit Stärke assoziiert Berufen dazu und Rednerin mit dem Schwer-
werden, gerne gesehen: Begeis- punkt Persönlichkeitsentwicklung
terung, Freude, Durchhaltever- Gefühle zu zeigen ist nicht per se und Stressbewältigung. «Es gibt
mögen - oder Formen von kon- unprofessionell. So gehöre ein förderliche, aber es gibt auch
struktivem Trotz. Nur selten gewisses Maß an Empathie in destruktive Wut.» Sie rät in
werde ein «Zuviel des Guten», vielen Berufen dazu, sagt Helga jedem Fall, das Gefühl nicht weg-
zum Beispiel überschäumende Kernstock-Redl. Sie berichtet zudrücken. «Sonst drücken wir
Begeisterung, als «kindisch» ab- von einer Kollegin in einem Kin- auch einen Teil von uns weg.»
gewertet. derkrankenhaus, die in Tränen
ausbrach, als ein junger Patient Starke Gefühle können auch ein
Schwieriger sei es mit Gefühlen, starb. Die Kollegin habe sich Motor sein, sagt Annette Auch-
selbst darüber geärgert. Schwelk. «Zeiten, in denen man
werden - beispielsweise Scham leicht ärgerlich wird, können sig-
oder Schuld. In einer wohlmei- «Doch ein paar Wochen später er- nalisieren: Es ist Zeit, etwas zu
nenden Umgebung würden diese zählten mir die Eltern, wie un- verändern.» Sie empfiehlt, inner-
als Zeichen von Moral und glaublich tröstlich es für sie war, lich einen Schritt zurückzutreten
Vertrauenswürdigkeit interpre- das zu erleben», erzählt die Psy- und sich zu fragen: Wer oder was
tiert. Aber von Missgünstigen chologin. Mitgefühl bedeute, mit macht mich wütend? Warum ge-
könnten sie als Schwäche aus- anderen mitzuschwingen, aber be ich einer bestimmten Person
gelegt werden. Das gelte auch trotzdem bei sich zu bleiben. Das so viel Macht über mich, dass ich
für Momente, in denen man sich gelte auch für den Kontakt mit mich aufrege? Beim Nachdenken
ängstlich, traurig oder hilflos Kundinnen und Kunden. «Der Em- über Situationen, in denen man
zeigt. pörte will schon, dass der andere wütend wird, ergeben sich häufig
mitgeht. Dann fühlt man sich ver- Muster, sagt die Autorin. Daraus
«In einem halbwegs guten Ar- standen und ist danach eher be- könne man lernen.
beitsteam jedoch lösen solche reit zuzuhören.»
Gefühle kollegiale Hilfsbereit- Auf keinen Fall sollte man Ge-
schaft und Empathie aus», sagt Gefühle nicht wegdrücken fühle unbedacht an Kolleginnen
die Psychologin. Außerdem könn- oder Kollegen auslassen. «Denn
ten Tränen - ebenso wie andere Doch nicht nur mit dem Ärger von was kann der andere dafür, wenn